Die deutsch-russischen
Beziehungen
im europäischen Kontext


Heinz Timmermann

Einbindung Deutschlands in die EU-Politik
Die deutsch-russischen Beziehungen, durch die Verbrechen des Naziregimes, die Teilung
Deutschlands und den Charakter der alten Bundesrepublik als Frontstaat gegen die sowjetische
Bedrohung stark belastet, sind heute in Eliten und Bevölkerung gekennzeichnet durch Versöhnung
und vieldimensionale Zusammenarbeit, was respektvolle wechselseitige Kritik nicht ausschließt.
Aus Feinden sind Partner geworden. Für Deutschland und seine Aussenbeziehungen signalisierte die
Vereinigung zwei scheinbar widersprüchliche Ausgangsbedingungen. Einerseits gewann
Deutschland mit dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag seine volle nationale Souveränität und
Handlungsfreiheit zurück. Andererseits profilierte es sich als engagierter Vorkämpfer für vertiefte
EU-Integration. Das Paradox löst sich auf, wenn man bedenkt, daß Deutschland seine
internationalen Beziehungen vorrangig im Rahmen der EU pflegt – auch im Verhältnis zu Russland.
Das entspricht übrigens der Bestimmung unserer Verfassung, des Grundgesetzes. Danach dient
Deutschland als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt.
Die Vielzahl bilateraler deutsch-russischer Gremien, Arbeitsgruppen, Foren und Organisationen
arbeitet genau gesehen unter europäischem Vorzeichen. Dazu zählen in erstaunlicher Breite und
Dichte: die jährlichen Gipfel Bundeskanzler/Präsident, die Treffen der „Hochrangigen
Arbeitsgruppe für Strategische Fragen der deutsch-russischen Kooperation im Wirtschafts- und
Finanzbereich“, die für dieses Jahr anvisierte Gründung einer deutsch-russischen
Außenhandelskammer, der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, die „Arbeitsgruppe
Sicherheitspolitik“, Gesprächsforen wie der „Petersburger Dialog“ und das „Deutsch-Russische
Forum“, der erst 2004 gegründete, von Regierung, Wirtschaft und Stiftungen getragene „DeutschRussische Jugendaustausch“, der „Bund Deutscher West-Ost-Gesellschaften“ als Dachverband einer
Vielzahl zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie schließlich die 525 Hochschulpartnerschaften
im Wissenschaftsaustausch. Im September 2005 wurde in Moskau das Deutsche Historische Institut
gegründet, um sich gemeinsam mit russischen Forschern mit der Vergangenheit
auseinanderzusetzen. Darüber hinaus befasst sich eine regierungsamtliche Historische Kommission
Deutschland-Russland mit kritischen Phasen der Geschichte und plant z.B. eine mehrbändige
Dokumentation zu den wechselseitigen Beziehungen in der sensitiven Periode 1933 bis 1941. Mit
keinem Land der Welt ist Russland unterhalb der diplomatischen Ebene so eng vernetzt wie mit
Deutschland – weder mit den USA noch mit Frankreich oder auch einzelnen GUS-Staaten.

Kategorien: 2006